Luisenstraße 32
53129 Bonn
Tel.: (0228) 91 17 30

Ermittlung der Abschreibung (AfA) bei verkürzter tatsächlicher Nutzungsdauer eines Gebäudes auf Basis eines Wertgutachtens

Ein vom Steuerpflichtigen eingeholtes Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit einer Ermittlung des Ertragswerts des Immobilienbestands gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 ImmoWertV, in dem unter Berücksichtigung von Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen die Auswirkung auf die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV einzelner Gebäude einbezogen worden ist, kann der Ermittlung der AfA für ein Mietobjekt zugrunde gelegt werden.

 

Hintergrund

Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i. S. v. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.

Ob den AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i. S. d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls.

 

Entscheidung

Es ist in jedem Fall Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer – im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten – darzulegen und gegebenenfalls – im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast – nachzuweisen.

Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten – z. B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist.

Vor diesem Hintergrund ist etwa die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mithilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.

Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen – Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind.

Entsprechend kann auch das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung (§§ 21 ff. i. V. m. § 6 Abs. 6 ImmoWertV vom 19.5.10, BGBl I 2010, 639) im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG Anwendung finden. Auch wenn das dabei anwendbare Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen nicht primär darauf gerichtet ist, die tatsächliche Nutzungsdauer i. S. v. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln, kann ein solches Modell geeignet sein, eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendenden Schätzungsgrundlagen zu bilden. Eine Rechtfertigung vom (baurechtlichen) Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bewertungsverfahren aus steuerrechtlichen Gründen abzuweichen, besteht nicht.

Im Streitfall kam das FG auf der Grundlage der von der Steuerpflichtigen vorgelegten Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis, dass die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer i. S. v. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf die streitgegenständlichen Immobilien zutreffend zugrunde gelegt wurde.

Denn in ihrem Gutachten hatte die Gutachterin eine Ermittlung des Ertragswerts für den gesamten Immobilienbestand der Steuerpflichtigen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 ImmoWertV vorgenommen. Nach Auffassung des FG hatte die Gutachterin aufgrund sachlicher Kriterien jeweils eine gegenüber § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG abweichende Restnutzungsdauer ermittelt. Sie hatte nach einer Ortsbesichtigung den Zustand der Außenanlagen und der Gemeinschaftsanlagen ermittelt. Ferner hatte sie einzelne leer stehende Wohnungen besichtigt und den Zustand der einzelnen Gebäude aufgezeigt. Im Rahmen der Ertragswertermittlung hatte die Gutachterin auch die Restnutzungsdauer nach § 6 Abs. 6 ImmoWertV in der für die Streitjahre gültigen Fassung ermittelt.

Das FG hat die Revision ausdrücklich nicht zugelassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze (Hinweis z. B. auf BFH 28.7.21, IX R 25/19).

 

FUNDSTELLE

FG Münster 14.2.23, 1 K 3840/19 F

© 2024 Kanzlei Arndt | infokanzlei-arndtcom